Veranstaltung am 10. November 2018 im Kunsthaus Seelscheid
Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. So lautete in den friedensbewegten frühen 1980er Jahren ein beliebter Slogan. Leider war das Nicht-Hingehen für die zig- und abertausende jungen Männer im Ersten Weltkrieg keine Option. Beflügelt vom Überlegenheitsgefühl der Deutschen, angestachelt von Kaiser Wilhelm II, zogen sie in die mörderischen Schlachten. Mit Veilchensträußchen am Gewehr und winkenden Frauen an den Bahnhöfen.
Mit Schützengräben und Soldatenfriedhöfen lebt unsere Erinnerung in Bildern an dieses grausame Geschehen. Nach vier Jahren war der Krieg verloren und das Kaiserreich am Ende. Und dann? „Folgte diesem Krieg der Frieden?“ titelte Burkard Sondermeier für sein aktuelles Programm. Nein, was kam, waren die Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise, der Aufstieg der Nationalsozialisten und ein zweiter verheerender Krieg, angezettelt von den Deutschen.
Im November 1918 kapitulierte das Deutsche Reich und der Kaiser wurde zum Abdanken gezwungen. Burkard Sondermeier las mit Grabesmiene die Kriegserklärung des Kaisers im Wortlaut. Ach, wie es vor Deutsch- und Überlegensein triefte!
Wie lächerlich dieser Unverbesserliche im Exil sein Kaisertum aufrechterhielt, belegt ein vertontes Gedicht von Erich Mühsam „Der Jubelgreis“. Sondermeier hatte den Jahrestag der deutschen Kapitulation zum Anlass genommen, um mit Texten und Musik eine mahnende Revue zu gestalten. Rund 60 Gäste waren in seinem Kunsthaus Seelscheid erschienen, die sich von der dichten Atmosphäre nachdenklich stimmen ließen. Ein Kaleidoskop von kriegskritischen Texten entfaltete sich von „Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen“ von Erasmus von Rotterdam aus dem Jahre 1515 über den Aufschrei „s’ ist Krieg!“ von Matthias Claudius von 1779 bis zum Chanson „à Biribi“ von Aristide Bruant um 1880. Alle Texte auch heute erschreckend aktuell!
Burkard Sondermeier zur Seite der einfühlsam intonierende Igor Kirillov am Flügel. Er präsentierte den Danse Macabre von Camille Saint Saëns und den Trauermarsch zum Tode Siegfrieds aus der Götterdämmerung sehr würdevoll. Alle waren so bewegt, dass vor dem Applaus ein, zwei Minuten Stille herrschte.
Wie immer bei einem Sondermeier-Feature ermunterte der Rezitator zum Mitsingen. Diesmal standen zwei Klassiker der Anti-Kriegsbewegung auf dem Programm. „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ und der Welthit „Sag mir, wo die Blumen sind“ von Pete Seeger, den Marlene Dietrich auf Deutsch unsterblich machte.
Nächstes Jahr um diese Zeit, also im November 2019, erleben wir das Duo Sondermeier/Kirillov mit einem Programm zum „Ausbruch“ des zweiten Weltkrieges. Darauf warten wir gespannt, zumal Burkard Sondermeier sein politisches Credo freimütig bekennt „Alle Ismen lehne ich ab, außer den Pazifismus, für den lohnt es sich zu kämpfen.“